Montag, 8. April 2013

Trauerzug durch Tixán


Ich schlief und wurde trotz Ohrstöpsel von einem schrecklich dröhnenden, zunächst undefinierbaren Lärm, der von der Straße schallte, geweckt. Ich schrak auf, noch unentschlossen, ob ich mich aus meinem Bett in Richtung Straße bewegen sollte oder nicht. Doch als der Lärm sich in meinem Kopf zu Musik formte, siegte meine Neugierde über meinen schlaftrunkenen Körper und ich stürmte förmlich zur Tür, wo sich mein Gastvater bereits eingefunden hatte. Ich sah raus und erblickte insgesamt 4-5 Autos. Mein Blick schweifte auf das Erste, von dem die Musik ausging, und ich sah ein halbes Dutzend in schwarz gehüllte Personen, die auf der Ladefläche des Pick-Ups zu beiden Seiten eine mit weißen Kordeln befestigte Holzkiste säumten. Es war ein Sarg. Das darauffolgende Auto hatte auf seiner Ladefläche ein riesiges Blumengesteck, sodass mehr Blumen als Auto zu vernehmen war und schlussendlich tuckerten 2 oder 3 schwarze Autos, bis auf den letzten Platz mit traurig dreinschauenden Gesichtern, die zum Fenster herausstarrten, gefüllt, hinter dem Blumengesteck und der lauten Musik her.
Aus fast allen Häusern, an denen der Trauerzug vorbeizog, kamen Menschen auf die Straße gelaufen, steuerten auf den mit dem Sarg beladenen Pick-Up zu und bekundeten ihr Beileid den in Schwarz gehüllten Angehörigen, die dankend die Hände der Herbeistürmenden ergriffen.
Das auffälligste war jedoch die laut dröhnende Musik. Es war nicht, dass sie sich etwa von der sonst typischen Musik unterschied, weder in Rhythmus noch Lautstärke oder Tonfall, und trotzdem war sie präsent, klar, rein, anders! Warum auch immer nahm sie mich in ihren Bann und es erschien mir, als trüge diese Musik die ganze Zeremonie, ja, als begleite sie die dahingeschiedene Seele.

“Es ist jemand gestorben” sagte mein Gastvater, “eine Frau aus Tixán”. Ich nickte bestätigend und wir schlossen die undichte Holztür hinter uns, und obwohl der Trauerzug bereits ein gutes Stück vorangeschritten, und schon länger im Nebel verschwunden war, schien diese eindringliche Musik sich in unseren Räumen festgebissen zu haben und verlor nichts an ihrer Präsenz.
Ich dachte, im Hintergrund von der singenden Frauenstimme begleitet, über das Leben und den Tod nach und machte mich schließlich auf in die Küche, um etwas Honigbrot und Kokosjoghurt zu essen.

Ya tenemos Presidente, tenemos a Rafael!


Bevorstehende Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Leider habe ich mich mit diesem Thema zu wenig beschäftigt, um wirklich ausführlich und detailliert darüber berichten zu können, doch ein Ereignis möchte ich Euch nicht vorenthalten: Es war der 30. Januar 2013, ein gewöhnlicher  Mittwoch im Dorf. Die Ankündigung, dass Rafael Correa, der amtierende Präsident Ecuadors nach Alausí, einem Städtchen ca. 20 Minuten südlich von Tixán, kommt, um dort offiziell einen neuen Bahnhof zu eröffnen, und nebenbei reichlich Wahlwerbung zu veranstalten, hatte sich verbreitet wie ein Lauffeuer. Um nach Alausí zu kommen, fährt man auf der Panamericana an meinem Dorf Tixán vorbei, und so musste es schließlich auch El Presidente tun. Meinem Gastvater, einem scheinbar feurigen Correa Anhänger, war die Vorfreude auf das Ereignis den ganzen Tag schon anzumerken, es war, als freue sich ein Kind auf das Christkind, damit es endlich Geschenke auspacken konnte.

Rasant verbreitete sich am Abend plötzlich die Meldung, dass der Präsident in wenigen Minuten Tixán passieren werde. Das ganze Dorf war in Aufruhr und fuhr oder rannte den Berg hinauf, in Richtung der Panamericana.
Als wir mit unserem Kleinbus, mit dem mein Gastvater jeden Tag dutzende Kinder zur Schule nach Alausí fährt, in einem affenzahn durch Tixán gerast sind und etliche Menschen, die dem Spektakel beiwohnen wollten, von der Straße aufgesammelt hatten, kamen wir schließlich oben an, wo bereits geschätzte 50 Leute rufend und Fahnen schwingend am Straßenrand standen. Dann ging alles ganz schnell: Zuerst einige Polizeimotorräder, die die Straße räumten, dann ein oder zwei andere Fahrzeuge und plötzlich lief die Menschenmenge, wie von einem Magneten angezogen, auf einen Punkt zu. Ich näherte mich diesem Punkt und ehe ich mich versah, stand ich direkt neben dem Präsidenten von Ecuador, der doch tatsächlich ausgestiegen war und sich direkt unter die euphorische Menschenmenge gemischt hatte. Geschupse, Gedränge, und dazwischen der Sicherheitsdienst, der vergeblich versuchte, die Menschen wenigstens ein bisschen auf Distanz zu halten. Ich verstand diese ganze Situation nicht, musste lachen und wurde einfach vom Strom der Menschen mitgerissen.

Die Panamericana vor Tixán
 


Dass ich aus der Menschenmasse herausstach, war kein Wunder, da mir die meisten in meinem Dorf nur bis zur Brust oder den Schultern gehen; doch das daraus resultierte, dass mich der Präsident zu sich winkte, um mit mir zu reden, verwirrte mich dann doch ein wenig. Nach einem kurzen Smalltalk und einigen Flüchen, die ich meiner Kamera zuwarf, weil sie fast eine Minute lang kein Foto von uns machen wollte und  ich den ganzen Laden damit vermochte alleine aufzuhalten, weil ich und der Präsident tatsächlich 45 Sekunden lang dort lächelnd in die Linse starrten und sich nichts tat, war der ganze Spuk auch wieder vorbei. Er verabschiedete sich nach rund vier Minuten wieder in Richtung Alausí, mit dem Aufruf, die Menschen sollten ihm dorthin folgen. Und das taten sie. Eine Kolonne von 40 oder 50 Autos schlossen sich dem Präsidenten an und wir, mit meinem kurz vor dem Delirium stehenden Vater am Steuer, natürlich mit von der Partie! Dass daraus über kurz oder lang ein gigantischer Stau auf der einspurigen Panamericana entstehen musste, war abzusehen und bewahrheitete sich schnell. Doch durch etliche Schleichwege und scheinbar nicht enden wollende Umwege schafften wir es dann doch irgendwie, vorbei an den wartenden Autos, ins Zentrum von Alausí. Es war die Hölle los, die Stadt schien förmlich platzen zu wollen, es gab kein Vor oder Zurück mehr. Die Halle, in der sich Rafael Correa eingefunden hatte, war, sofern man nicht schon vor dem Eingang zerquetscht wurde, für jedermann zugänglich und die Menschen sangen, feierten und lauschten begeistert den Worten ihres Halbgottes.

Und dann hats doch geklappt




Auch mein Ghetto-Bruder ist in giftgrün gekleidet

Auch der Almödi schwenkt die Fahne

Ein kleiner Linktipp: Mirja, eine Freiwillige aus Otavalo, hat sich etwas ausführlicher mit dem Thema Präsidentschaftswahlen auseinandergesetzt. Wer Interesse hat: http://sinneswandeln.weebly.com/1/post/2013/02/ya-tenemos-presidente.html


Zwischenseminar und eine neue Mitbewohnerin


Mitte Januar stand das weltwärts Zwischenseminar an, eines von insgesamt sechs verpflichtenden Seminaren, die den Freiwilligendienst zu unterstützen vermögen. Es ging nach El Chaupi, einem kleinen Ort südlich der Hauptstadt Quito und ca. drei Stunden nördlich von Riobamba. Vier Tage verbrachten alle YAP-Freiwilligen aus Ecuador zwischen Gruppenspielen, bei denen Mitfreiwillige gerne einmal (un-)freiwillig zu einer Hand voll Lamaköttel als Snack für zwischendurch greifen (Namen werden an dieser Stelle einmal nicht erwähnt), und konstruktivem Austausch über Unterrichtsmethoden oder das Leben im Dorf. Ich hielt einen Vortrag über Ecuadors Ressourcen (konzentriert auf Gold, Fischerei und Erdöl), dessen Handout ich hier unten dranhängen werde.

Das "NESTLE-Lama" - ein bisschen genmalipuliert


Professionelle Tesalia Werbung






Wir schicken ein bisschen Sonne ins triste Deutschland :)




Drei Tage später sollte unsere Riobamba-WG neuen Zuwachs bekommen. Anke, eine Hamburgerin, wird von nun an ein halbes Jahr zu uns in die WG stoßen, sodass wir wieder zu viert sind; Willkommen!


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Handout zu Rohstoffen in Ecuador
·         Gold
-          Fakten
´        Durch hohen Goldpreis lohnt sich der Goldabbau schon bei 1g Gold pro 1t Gestein
´        99,9999% des gebrochenen Steins bleibt als verseuchter Abfall zurück
´        Für einen Ehering aus Gold benötigt man 20t vergiftetes Gestein
-          Produktion
1.       Mithilfe von Zyanid:
§  Gestein wird aus Stollen gebrochen, dann Luftgelagert und Wochenlang mit Zyanid besprenkelt, wodurch sich das Gold im Gestein löst
§  Folge: Das Zyanid wird durch den Wind kilometerweit in der Landschaft verteilt und kontaminiert Grundwasser, Natur und Mensch             (Zyanid verhindert den Sauerstofftransport im Körper u. ist in kleinsten Mengen tödlich)
§  Jährlich werden weltweit nur für die Goldgewinnung 182.000t Zyanid verbraucht
2.       Mithilfe von Quecksilber
§  Gewinnung von Gold aus Flüssen, wobei das Quecksilber direkt in die Flüsse fließt (alleine in den Amazonas jährlich ca. 100t)
§  Giftige Dämpfe werden ungefiltert in die Luft geblasen, sodass die Umwelt unmittelbar belastet wird
§  Quecksilber schädigt das zentrale Nervensystem
-          Kinderarbeit
´        Alleine in Ecuador arbeiten 2.000 Kinder nur in Goldminen
´        Gefahren:
è Atmen giftige Dämpfe ein (Zyanid + Quecksilber)
è Bei Sprengungen im Stollen stürzen diese zuweilen ein, während sich die Arbeiter und Kinder eben in diesen befinden
-          Hilfe
´        Die Organisation „Rettet den Regenwald“ hat es mithilfe der lokalen Organisation „Decoin“ im Intag geschafft, 1000ha Bergwald vor der Eröffnung  neuer Goldminen zu bewahren und gab den erworbenen Besitzt von Land an die ansässigen Dorfgemeinschaften weiter
-          Lösungsansätze
´        Statt des konventionellen Gold zu Fair-Traid Gold greifen
´        In den tresoren der Weltbanken lagern etwa 100.000t Gold ungenutzt, wodurch der weltweite Goldbedarf über Jahrzehnte gedeckt werden könnte


·         Schrimp-, Krabben- und Garnelenproduktion (15,2% des ecuadorianischen Exports)
-          Durch das Taura-Syndrom-Virus nahe Guayaquil entstanden 200 Millionen US$ schaden, sodass die Produzenten in den Norden Richtung Esmeraldas auswichen
è Bis dato letzter, von Krabbenfischern unberührter Ort

-          Produktion
´        In küstennahen Aguafarmen, meist auf ürsrpnglichen Reisfeldern oder Mangrovenwäldern
´        Für 1t Garnelen benötigt man 4t Fischmehl
è Für 1t Fischmehl benötigt man 5t Fisch
Ø  1t Garnelen = 20t Fisch
´        Einsatz von Unmengen von Antibiotika und anderen Chemikalien, da Farmer als Folge des Virus extrem vorsichtig geworden sind
´        Täglich müssen 15-20% des Wassers in den Aguafarmen erneuert werden
´        Nach 5-10 Jahren wird der Standort aufgrund zu starker Verschmutzung gewechselt
-          Folgen
´        Überfischung wg. Fischmehlproduktion
è Einheimische, traditionelle Fischerei stark betroffen
è Biologisches Gleichgewicht der Meere gestört (auch durch den Fang von Garnelenlarven mit engmaschigen Netzten, bei denen Milliarden von Larven sterben
´        Erhöhung der Reispreise an der Küste + Abholzung von unberührten Mangrovenwäldern
´        Extreme lokale Verschmutzung von Boden, Grundwasser und Meer, sodass nach 5-10 Jahren regelrechte Mondlandschaften zurückgelassen werden
è Erkrankung der lokalen Bevölkerung durch kontaminiertes Grundwasser
è Der traditionelle Fischfang wird weiter erschwert
´        Großer Verbrauch von Trinkwasser, das eh schon Mangelware an der Küste ist
è Grundwasserspiegel sinkt dramatisch


·         Öl (53% des ecuadorianischen Exports)
-          Yasuní-Nationalpark
´        beherbergt 1/5 des gesamten Erdölvorkommens Ecuadors
´        1ha besitzt Biodiversität von Mexico, USA und Kanada zusammen
-          Yasuní-ITT-Initiative
´        Eine NGO mit dem Ziel, den Yasuní-Nationalpark zu schützen
´        2010 bot die Regierung Correa an, den Nationalpark unberührt zu lassen
è Bedingung: Staatengemeinschaft soll die Hälfte der dadurch verlorenen Einnahmen ersetzen (7,2 Milliarden US$)
´        Bis heute nur ca. 200 Millionen US$ von staatlichen und privaten Geldgebern
è Correa begann Ende 2012 mit der Vergabe von 21 neuen Förderlizenzen
Ø  Medienkampagne: „Erdöl schenkt Amazonien leben!“
´        52% des ecuadorianischen Erdöls sind bereits an China versprochen, als “Dankeschön“ für die großzügige Kreditvergabe
-          Folgen:
´        Bisher unkontaktierte Völker werden gestört und bedrängt
´        Große Umweltverschmutzung
´        Unberührte Gebiete werden durch große Straßen erschlossen
è Tier- und Pflanzenwelt werden zurückgedrängt

Mit Sonnenbrand, Meer und Sand ins neue Jahr


Sylvester! Damit konnotiere ich Bleigießen, mit voll aufgedrehter Heizung vorm Fernseher sitzen, um das gefühlte 385 Mal „Dinner for one“  zu schauen und sich dann, in dicke Winterkleidung eingehüllt und durch den Schnee stapfend auf zum Rhein zu machen, wo einen eine grandiose Sicht auf das durch Feuerwerke beleuchtete Köln und unseren  Dom erwartet.

Doch nun bin ich in Ecuador, es ist der 29. Dezember 2012, und ich sitze, von der Sonne geblendet, auf der Ladefläche eines Pick-Ups  und fahre durch die Anden in Richtung Küste, Puerto Lopez.


Von Riobamba nach Guayaquil
Angekommen, aufgewacht. Wo? Ich spüre Wärme und frischen Wind, es ist noch früh (sechs Uhr morgens wie sich bald herausstellen sollte) und da setzt sich ein amselgoßer schwarzer Vogel neben mich ans Bett und brüllt mir ins Ohr, als sei er meine Mutter, die mich zu motivieren versucht, endlich aufzustehen, da es ja schon so spät sei, und außerdem müsse ich ja noch mein Zimmer aufräumen und sowieso… Auch wildes Armefuchteln half nichts (ebenso wenig wie früher bei meiner Mutter) und so hatte ich von nun an die nächsten 5 Tage für sechs Uhr morgens einen unfreiwillig zuverlässigen Wecker. Ursache des ganzen Spaßes war, dass ich mit Judith, einer Mitbewohnerin in Riobamba, bei einem Couchsurfer untergekommen war, der in Eigenregie ein drittes Stockwerk aus Holz auf sein Haus am Meer gebaut hatte, das jedoch noch keine Fenster hatte, sodass Vögel ein häufiger Gast waren. Doch der morgendliche Blick aufs Meer war paradiesisch, besser, als jedes Hostal, das ich mir hätte vorstellen können.
Unser Haus oben rechts
Blick vom Bett...
...bis zum Meer
So saßen wir also in unserem Strandhaus, grübelten über das Leben und genossen es ebenso, bis zum 31. Dezember, dem Tag vor der Silvesternacht. Wir fuhren alle zusammen nach Montañita, einem Turiort, ca. 1,5h südlich von Puerto Lopez, da es dort einer der größten Silvesterpartys des Landes geben sollte, was sich nach wenigen Sekunden bestätigte. Die Straßen waren voll, die Diskos umso voller, doch sich zum und durch den Strand zu kämpfen, war die größte Aufgabe. Es regnete in Strömen, doch das veranlasste die Leute nicht, sich in ihrer Feierlaune zu bremsen, sondern, fast schon aus Trotz, wurde nun auf der Straße getanzt, gesungen und gelacht. Es war wie ein Freudenrausch, an dem JEDER einzelne teilnahm und so diese unverwechselbare Stimmung erzeugte. Ich ging durch die Straßen und fühlte mich wie in einem Film, es war einzigartig! Kurz vor Mitternacht machten wir uns auf zum Strand. 

Neujahr, frohes neues Jahr 2013!

Ich stehe mit Jonas, einem Freund aus Otavalo, am Strand. Hinter uns das Meer, in das dutzende Menschen trotz Eiseskälte reinspringen und vor uns ein atemberaubendes Szenario. Traditionell werden in Ecuador kaum Silvesterraketen in die Luft gejagt, sondern Muñecos verbrannt. Diese Muñecos sind mit Feuerwerkskörpern gefüllte Puppen, die manchmal Berühmtheiten, manchmal aber auch nur Spongebob oder Homer Simpson abbilden. Und so geschah es, das tausende von Menschen auf dem Strand vor uns standen und wie Wilde um ca. 10 Meter hohe knallende Feuer tanzten, sie sich über den ganzen Strand verteilten. Dazu einzelne Feuerwerkskörper und singende, kreischende, lachende und weinende Menschen um einen herum. Es hätte der Weltuntergang sein können, doch es war großartig!


Der Strand

Des is sooooo romandisch