Freitag, 24. August 2012

Sprachschule, Zeitgefühl, Giftattacke?


Schon wieder ist eine Woche vergangen und so viel passiert. Mein letzter Eintrag endete mit der Fahrradtour durch Quito, einen Tag später, am Montag, den 13.8., begann für die meisten von uns die Sprachschule. Eine Woche lang, vier Stunden am Stück, fühlte ich mich in meine Schulzeit zurückversetzt: Vokabeln lernen und Grammatik pauken, das übliche eben, doch ich habe das Gefühl, dass es mich ein gutes Stück weiter gebracht hat.

In der Sprachschule - Endlich Pause!

Ich hatte das Glück, eine unglaublich liebenswürdige Lehrerin zu bekommen, die genau auf meine Problematik des selber unterrichtens einging und mir viele wertvolle Tipps und Vokabeln diesbezüglich gab. Einmal sind wir sogar auf den großen Lebensmittelmarkt von Quito gegangen, der mich ganz ohne touristisches Flair durch seine Natürlichkeit und Authentizität überwältigte. Überall Gerüche, Lärm, Farben und meterhoch gestapeltes Obst und Gemüse aus dem Dschungel, dem Andenland und der Pazifikküste. Meine Lehrerin sagte mir jedoch, der Markt in Riobamba sei circa dreimal so groß; ich bin gespannt und werde berichten!

Mit meiner Lehrerin auf dem Markt

Gewöhnungsbedürftig!

Die meisten von Euch werden wissen, dass ich mit Pünktlichkeit so meine Probleme habe und Ecuador scheint, was das angeht, das richtige Land für mich zu sein. Ein verabredeter Zeitpunkt wird eigentlich nie eingehalten, und das färbt zwangsläufig auch auf uns ab. So sind wir jeden Tag zu spät in die Sprachschule gekommen, oder standen erst eine Stunde später am vereinbarten Treffpunkt, der eigentlich nur 10 Minuten Fußweg entfernt ist – man passt sich eben an! Gegipfelt ist unsere Schluderei am 15.8., als wir Mario, einen anderen Freiwilligen aus Riobamba, vom Flughafen abholen wollten: Trotz Verspätung seines Fluges musste er auf uns am Flughafen warten; wir waren circa zwei Stunden zu spät :D
Egal, vergessen, Schwamm drüber, denn was uns kurz zuvor beinahe passiert ist, ist dagegen weniger lustig: Wie erwähnt holte ich Mario, zusammen mit Hannah (eine weitere Freiwillige aus Riobamba), und Marlene vom Flughafen ab. Immer wieder wurde uns gesagt, auf keinen Fall nachts durch Quito zu laufen, und sich schon gar nicht in der Nähe des Parks aufzuhalten. Dummerweise kam Mario aber nachts an und um zur Bushaltestelle zu kommen, mussten wir durch den Park, sind aber extra außen rum gelaufen.  Alleine, im Zentrum Quitos, kam uns ein älterer Mann entgegen, mit einer Kappe auf dem Kopf und Flyern in der Hand. Er wollte uns, trotz mehrmaliger Ablehnung, unbedingt diesen Flyer in die Hand drücken, sah dann aber relativ schnell von seinem Vorhaben ab und verschwand in der Nacht Quitos. Erst am nächsten Tag wurde mir durch Zufall bewusst, welcher Gefahr wir in dieser scheinbar harmlosen Situation ausgesetzt waren: Wie jeden Tag redete ich mit meiner Sprachlehrerin über Gott und die Welt, und sie erzählte mir von ihrem Bruder, der durch eine Giftattacke ausgeraubt und zehn Tage im Krankenhaus verbrachte, wenn ich es richtig verstanden habe, sogar vier Tage im Koma lag. Sie warnte mich, niemals von Fremden Flyer anzunehmen, da sich auf deren Spitze Drogen befänden, die einen willenlos machen und von deren Überdosis man schnell das Zeitliche segne. Sofort schoss mir die Situation von letzter Nacht durch den Kopf, und sie bestätigte mir, dass wir verdammt viel Glück hatten, diese Flyer nicht angenommen zu haben. Und ich wunderte mich schon, warum man mitten in der Nacht in menschenleeren Straßen Flyer verteilt… Glück gehabt, das Leben geht weiter!

Am Dienstag zogen wir dann endlich in ein neues Hostal, das alte „Blue House“ hatte nun wirklich ausgedient, ein frischer Wind musste rein. Auf Empfehlung früherer Freiwilligen zogen wir ins „Bamboo“, ein superschönes Hostal mit einer atemberaubenden Dachterrasse. Nach anfänglicher Preisdiskussion konnten wir uns mit den Rezeptionisten auf einen guten Preis einigen, endlich fühlte ich mich wieder wohl in meinem Bett! 

Blick von der Dachterrasse bei Tag...
...und bei Nacht

Und noch einmal aus unserem Zimmer - nicht schlecht, was?!?

Jetzt fehlten nur noch der Gang zum Einwanderungsministerium, um mein endgültiges Visum abzuholen (das ich mittlerweile habe und schon verloren habe) und etliche Ausflüge in und um Quito.
Am Donnerstag ging es zum „Panecillo“, von uns liebevoll „Brötchen“ genannt, einem kleinen Hügel mitten in der Stadt, in dessen Mitte eine riesige Jungfrau-Statue thront. Die Anfahrt ist nur in einem Taxi möglich, da sich unterhalb dieses Bergs wohl ein ziemlich gefährliches Stadtviertel befindet, in das sich noch nicht mal alle Einheimischen trauen; quasi das Mülheim von Quito ;)

Blick vom Brötchen nach Norden...

... und nach Süden

Einen Tag später trieb es uns dann noch höher, nämlich auf den Hausberg von Quito, den „Pichincha“, in 4100 Metern Höhe. Dünne und kalte Luft waren vorprogrammiert, ein atemberaubender Blick über Quito inklusive! Spätestens hier wurde mehr als deutlich, dass diese Stadt nicht wie offiziell angegeben weniger als zwei Millionen Einwohner hat, denn das Häusermeer reichte sowohl im Norden, als auch im Süden bis zum Horizont, und vermutlich noch viel weiter. Ich schätze auf mindestens doppelt so viele Einwohner, wenn nicht sogar dreimal so viele. Dank unseres Status als Volontäre, zahlten wir fuer die Gondelfahrt “nur“ den Preis für Einheimische, nämlich 4,50$.

Auf dem Weg nach oben

Einstieg in die Gondel

Die vier Riobambenos - Mario, Hannah, Judith, Ich

Über Süd-Quito


Man In Black

Misshandlung auf 4100 Metern Höhe

Ein tägliches Phänomen - vorsätzliche Brandrodung und Landschaftsbrände 

Wie haben dort bitte 17 Personen reingepasst?!?

Am Abend ging es dann, mit vier Stunden Verspätung nach Cayambe, wo unser Einführungsseminar stattfinden sollte – mehr dazu in meinem nächsten Eintrag. 


Donnerstag, 16. August 2012

Lebenszeichen aus Quito


Endlich schaffe ich es, Euch etwas zu schreiben. Fangen wir von vorne an:
Am 10.8., nach ungefähr 22 Stunden Reisezeit, ist es nun soweit: Lino ist in Ecuador, endlich!

10h nach Atlanta

Um 10:15 ging der Flieger, die Stunden davor waren der reinste Horror. Aufregung, gepaart mit Abschiedsschmerz und Stress waren eine höllische Mischung.
Nichts gegessen, nichts getrunken, im Wirrwarr der Gefühle und den Weiten des Frankfurter Flughafens ging es mit Delta Airlines nach Atlanta (USA).


In Atlanta bestätigte sich mein Klischee behaftetes Bild von Amerika und das, obwohl ich noch nie dort gewesen bin: Es ist der reinste Irrsinn.
Begrüßt wurden wir bereits im Flugzeug, der Zoll verlangte all unsere Daten und Beweggründe unseres Umstieges.
Nach dem Ausstieg ging es, unter Beobachtung etlicher Polizisten, zur Passkontrolle. Hier wurden unsere Fingerabdrücke gescannt und die Augen fotografiert. Dazu gab’s noch ein Interview, warum ich was, mit wem in Ecuador machen werde und wer das ganze überhaupt bezahlt - Nur zur Erinnerung: Wir stiegen lediglich in ein anderes Flugzeug und hätten noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, amerikanischen Boden zu betreten.
Daraufhin ging es zu einer weiteren Zollkontrolle und anschließend zur Gepäck- und Körperkontrolle. Auffällig viele Sicherheitsangestellte säumten den eingezeichneten Gang, dass auch ja keiner vom rechten Weg abkommen möge. Diese Sicherheitsangestellte standen im Abstand von 15 bis 20 Metern und leierten immer und immer wieder ungefragt die gleichen Sätze herunter: "Go ahead", "Don`t stop walking" oder "You will need your passport soon". Meine Gedanken: Der Mensch als Ware in einer Masse unter totaler Kontrolle - Eine wahrgewordene Distopie!
Trotzdem schafften wir es unbeschadet durch die nächsten Kontrollen, inklusive des in Deutschland viel diskutierten "Nacktscanners". Unser Flug nach Quito hatte dann, aufgrund eines Unwetters, 2h Verspätung, sodass uns noch viel Zeit blieb und wir countdownartig den Durchsagen des Piloten folgten: "Wir haben Startnummer 18", und eine halbe Stunde später: "Jetzt sind nur noch 12 Flugzeuge vor uns dran".
Im Flugzeug nach Quito hieß es warten, warten, warten

Gegen 2 Uhr Nachts ecuadorianischer Zeit, also 9 Uhr morgens in Deutschland, kamen wir endlich an. Am Flughafen warteten auch schon ungeduldig viele andere Freiwillige, Koordinatoren und sogar meine vermutliche Gastmama für Llallanag, die extra den weiten Weg aus Riobamba auf sich nahm, um mich zu sehen - eine zuckersüße und herzensgute Person, das Jahr kann ja nur noch gut werden!
Vom Flughafen aus ging es dann mit einem Taxi der besonderen Art zu unserem Hostal. Wir wurden samt Rucksäcken auf die Ladefläche eines Pick-ups verladen und fuhren dann mit bis zu 70 km/h durch das nächtliche Quito. Ja, wir waren angekommen :)

Die beste Autofahrt meines Lebens, mit Wiebke und Frans

Am nächsten Morgen, der Nationalfeiertag in Ecuador, zogen wir in ein anderes Hostal ("Blue House"), wo wir nun zu neunt wohnen. Es ist ein bisschen dreckig, und das Foto meines "Bettes" bedarf denke ich keiner weiteren Erklärung - eine schreckliche Nacht! Zum Anlass des 22. Geburtstages von Philippa, eine ehemalige Freiwillige, ging es zu einer ecuadorianischen Familie. Wir fuhren ziemlich weit außerhalb der Stadt, und ziemlich schnell verlor die Stadt ihren touristischen Glanz. Müll, neben kurvigen und lauten Straßen, und auch das Publikum änderte sich. Hinter einem großen Tor verbargen sich dann ein großer Hinterhof und die ganze große Familie. In der Küche saß die Oma und formte für uns alle Kartoffeltaschen. Nach dem Essen wurde Karten gespielt und getanzt, wer verlor, musste von Allen umkreist mit einem Besen tanzen - klar, dass es mich traf, der Tag war gerettet :D

Die ganze Familie, die Dritte von rechts ist Patty, vermutlich meine Gastmama in Llallanag

Nach einer Stunde Verabschiedung und unzähligen Fotos ging es dann ins Hostal, schlafen, endlich!

Der nächste Tag begann unverhofft früh, mein Lattenrost entschloss sich meinem Gewicht nachzugeben und den Gesetzen der Gravitation zu folgen. Auch das Frühstück hob meine Laune nicht, wer italienisches Frühstück kennt, kennt Luxus!

Mein "Bett", ohne Matratze

Der ganze Tag plätscherte vor uns her, wir legten uns in einen der unzähligen Parks in Quito und genossen!

Chillerei im Park

Umso später endete der Tag auch, stundenlang saßen wir zu viert in einer "Reggaebar" und hörten Hip Hop aus den 90ern. Ein Rastamann gab uns 12 Bier und 4 Shots aus, alle waren unglaublich aufgeschlossen und liebenswürdig, wir waren die einzigen Weißen in dem Laden. Der Abend war ein Paradebeispiel für ecuadorianische Gastfreundschaft - in Deutschland undenkbar! Auch einen Tag später zeigten sich die Ecuadorianer von ihrer besten Seite; dazu eine kleine Vorgeschichte: Jeden Sonntag wird in Quito die halbe Innenstadt für Autos gesperrt und zu riesigen Fahrradwegen umfunktioniert. Man hat das Gefühl, die ganze Stadt ist auf Fahrrädern unterwegs, ob alt oder jung, die Begeisterung dafür ist immens. Natürlich konnten auch wir uns dieses Event nicht entgehen lassen und mieteten, wie sich später rausstellen sollte mehr schlechte als rechte, Fahrräder. Eine Fahrradtour auf 3000 Metern Höhe ist echt eine Herausforderung, soviel stand für mich, einen Verfechter der "Sport-ist-Mord" Theorie, nach den ersten Metern bergauf schon fest!

Was für ein Panorama!



Doch zurück zur ecuadorianischen Mentalität: Irgendwann riss bei einem von uns die Fahrradkette, es ist überhaupt ein Wunder, dass sich keiner bei diesen Fahrrädern verletzt hat! Ein anderer einheimischer Fahrradfahrer hielt sofort an und fragte, ob wir Hilfe bräuchten, denn er sei "Maestro". Nach 2 Minuten war die Sache erledigt, wir hatten ein funktionierendes Fahrrad und unser Maestro verabschiedete sich freundlich, ohne auch nur einen Gedanken an eine Gegenleistung zu verschwenden, und verschwand in der Menge der Fahrradfahrer.

Dank des Maestros, kein nennenswertes Problem ;)

Sonntag, 5. August 2012

Abschied und Vorbereitungen eines Terroristen

Die letzten Vorbereitungen laufen, laut Countdown noch 3 Tage, 12 Stunden und 27 Minuten. Und ja, ich muss gestehen, langsam merke ich doch eine gewisse innere Anspannung.

Vorgestern, am Freitag, den 03. August, feierte ich mit all meinen Lieben meinen Abschied. Leider konnten nicht alle kommen, schließlich sind Ferien, dennoch war es für mich ein unvergessener Abend; ein riesiges Danke an alle, die da waren!

Verschwommen, aber glücklich :)
Ein Stückchen Sizilien durfte natürlich nicht fehlen

Heute ging es dann weiter mit Formalitäten und Bürokratie, an dessen Spitze sich die satirisch anmutende Registrierung bei den US-Behörden setzte. Zwar lautet mein eigentliches Ziel Ecuador, doch der dreistündiger Aufenthalt in Atlanta für einen Tankstop schien den Behörden Grund genug, sämtliche persönliche Daten zu speichern und mich mit absurden Fragen zu amüsieren - ein nicht ganz billiger Spaß, 14$ kostete mich diese Fragerunde!


Nachdem ich mich, scheinbar glaubwürdig, nicht als drogenabhängiger Naziverbrecher und heutiger Al-Qaida Terrorist entpuppte, wurde meine "Einreise" genehmigt; Halleluja!

Ein herzliches Willkommen!

Nun gilt es auf das Visum zu warten, mein Zimmer weiter auszuräumen, gefühlt hunderte Mails zu schreiben und die letzten Termine zu vereinbaren.

Jetzt sind es übrigens nur noch 3 Tage, 11 Stunden und 5 Minuten, die Zeit rennt!