Da seit neuestem auch in Deutschland Fernbusse zwischen den größeren Städten frequentieren, nahm ich dies zum Anlass, einmal über das Transportwesen in Ecuador zu berichten. Aufgrund immer noch fehlender Zugverbindungen und der verhältnismäßig geringen Anzahl an privaten PKWs, das immer noch ein großes Luxusgut darstellt, ist neben dem teuren Flugzeug das einzige und populärste Reisemittel der Bus. Über den Daumen gepeilt kostet eine Stunde Busfahrt einen US-Dollar.
Keine Busfahrt gleicht der anderen und während ich mich in Deutschland in Bussen immer zu Tode gelangweilt habe, erlebe ich hier auf fast jeder Fahrt neue Kuriositäten.
Es fängt schon vor der eigentlichen Fahrt an. Trotz Fahrplan, fahren die meisten Busse 5-10 Minuten früher, oder später ab; wenn jedoch in einem Bus nicht genügend Passagiere sitzen, ist der Busfahrplan sekundär und es wird bisweilen Stunden gewartet, bis sich genügend Passagiere eingefunden haben. Auf die Frage, wann der Bus denn fahre, bekomme ich meine Lieblingsecuadorantwort: „Ya mismo“ (Jetzt gleich), was sowohl zwei Minuten, als auch zwei Stunden heißen kann.
Bei der DB kostet eine Sitzplatzreservierung extra, in Ecuador ist sie obligatorisch. Aber wehe dem, der sich auch in einem quasi lehren Bus mit 30 freien Plätzen auf einen setzt, der einer anderen Person vorbehalten ist. Da gibt es keine Ausnahmen, denn das Nümmerchen auf dem Ticket beschreibt keinen vorgeschlagenen Sitzplatz – es beschreibt bezahltes Eigentum!
Wenn sich der Bus dann erst einmal in Bewegung gesetzt hat, beginnt das Abenteuer erst richtig. Der Garant einer jeden typisch ecuadorianischen Busfahrt ist entweder laute Musik, die eine Konversation zu einem sich anbrüllen umgestaltet, oder Raubkopien wirklich sehr schlechter amerikanischer Filme, die in nicht weniger dezenter Lautstärke durch den Bus dröhnen. Diese Filme, für die sich die meisten Akteure heute vermutlich schämen und sie lieber in der Versenke sehen würden, grenzen nicht selten an Softpornografie oder blutiges Gemetzel, bei denen Zensur keine Rolle spielt. Blut, offene Wunden, herumfliegende zerfetzte Körperteile schrecken Eltern nicht ab, ihren Kindern, die natürlich ebenfalls zuschauen, die Augen zuzuhalten. Im Gegenteil: die Kleinen feiern die Blutbäder wie ich in meiner Kindheit die Sendung mit der Maus.
Die Musik hingegen charakterisiert sich zumeist durch theatralische Liebesgesänge auf Spanisch, bei denen sich das Herz am liebsten selbst an Ort und Stelle selbst zerreißen möchte.
Verlass ist auch auf die brüllenden Blauschürzler, eine darwinistisch gesehen mutierte Form der Lebensmittelhändler, die nur in einem einzigen Habitat anzutreffen sind: dem Reisebus. Sobald ein Bus an einem etwas belebteren Platz, oder an Mautstationen anhält, stürmen binnen Sekunden meist mit blauer Schürze gekleidete Verkäufer den stehenden Bus, und bringen Empanada- oder Aguaschreiend und durch den Mittelgang hetzend ihre Waren an den hungernden Reisenden. Der Rekord waren einmal neun Verkäufer, die fast schon einen kleinen mobilen Supermarkt ausmachten, wobei dabei die Herausforderung am Konsumenten lag, aus dem geschrienen Neologismus „Empa-Agu-cho-tra“ vierer verschiedener Stimmen, die Wörter Empanada, Agua, Pinchos und Extra (Teigtasche, Wasser, Grillspieße und eine Tageszeitung namens “Extra“) herauszufiltern und sich dann binnen Sekunden zu entscheiden, was man davon eigentlich braucht. Denn so schnell wie der brüllenden Blauschürzler auftaucht, verschwindet er zumeist auch wieder.
Manche Verkäufer jedoch sind der Meinung, die Reisenden sollten unbedingt einer detaillierten Beschreibung ihres Produkts unterzogen werden, die sich mitunter bis zu einer dreiviertel Stunde hin ausdehnen kann. So wird einem Wunderpulver aus Asien heilende Wirkung in allen Bereichen des Körpers zugesprochen, ja sogar Prostata- und Brustkrebs ließen sich mit dem in Melonensaft aufgelösten Pulver bekämpfen. Zur Untermalung der Dringlichkeit, mit dem das Produkt erworben werden soll, breitet der Verkäufer ein 1x2Meter großes Plakat aus, auf dem triefende Wunden, mit Eiter gefüllte Beulen oder pechschwarze, offene Beine zu sehen sind. Da scheint es für viele eine durchaus lohnende Alternative, einen Dollar für dieses Tütchen mit Wunderpulver zu zahlen, statt an den aufgezeigten Krankheiten zu leiden. Angst und Verunsicherung sind eben auch heute noch der beste Weg, Menschen zu manipulieren und sie zu willenlosen und schutzsuchenden Wesen zu degradieren.
Ich sitze in der ersten Reihe des Busses, der von Riobamba ins Dorf fährt. Wir rasen an einer Kirche vorbei und im Spiegelbild der Frontscheibe sehe ich, wie sich der komplette Bus wie ferngesteuert gleichzeitig bekreuzigt. Die Szene erinnert mich an „I Robot“, ein Film, bei dem Roboter gleichzeitig angeschaltet werden und sich absolut synchron bewegen. Ein warnendes Hupen und eine Vollbremsung lassen mich aufschrecken, doch wir fahren weiter; noch einmal gut gegangen. Direkt vor mir prangt ein Schild, auf dem mich ein sich scheinbar im Delirium befindender Engel mit Heiligenschein anschaut. Daneben steht in schwarzen Lettern: „Wenn dies meine letzte Reise sein sollte, oh Herr, so lasse sie mich zu Dir führen.“ Na Halleluja!
Religion und Busfahrten stehen sich näher, als man vermuten mag. Neben solchen Sprüchen betet so gut wie jeder Busfahrer, bevor er sich hinters Steuer setzt, wobei bei der Fahrweise der meisten Busfahrer zusätzlicher göttlicher Schutz bestimmt nicht schaden kann. In Deutschland würde ich vom klassischen Mercedes-, oder BMW-Fahrer sprechen, hier, vom Busfahrer. Drängeln, Hupen, Aufleuchten, in uneinsichtige Kurven oder bei dichtestem Nebel überholen – all das alltäglich und unbegreiflich. Täglich sieht man im Fernsehen Bus- und Autounfälle, bei denen dutzende Menschen sterben. Am Straßenrand reiht sich an manchen Stellen ein weißes Kreuz nach dem anderen, bereits etliche Male bin ich an schweren Unfällen mit zum Teil umgekippten Bussen vorbeigefahren, die Menschen erzählen sich von schrecklichen Unglücken und trotzdem verhält sich kaum einer rational oder zumindest gemäßigter, denn das Phänomen vom rücksichtslosen Fahrer trifft nicht nur auf Busse, sondern auf quasi alle Verkehrsteilnehmer zu.
Eine kleine Anekdote am Rande: Mit meinem Gastvater und der ganzen Familie im Schlepptau fuhren wir in unserem Minibus von Tixán nach Alausí. Dieser Streckenabschnitt, sowie die ganze Region rund um Tixán und Alausí zählt mit zu den gefährlichsten Streckenabschnitten der Panamericana, da sehr kurvig und zumeist vernebelt. Auf eine Kurve zufahrend, erzählt uns mein Gastvater voller Elan die Geschichte von einem Getränkekleintransporter, der erst vorgestern hier, in der wohl gefährlichsten Kurve der Gegend, umgekippt sei und 4 Menschen, darunter angeblich auch mindestens ein Kind, unter sich vergrub. Während alle einhellig ihr Bedauern aussprechen, gibt mein Gastvater Gas und überholt in exakt der von ihm eben beschriebenen uneinsichtigen Kurve zwei LKWs. Genau diese dumme, unüberlegte Sorglosigkeit sorgt für den unschönen Wegschmuck in Form von Altären und Kreuzen.
Und doch, trotz aller vermeintlicher Gefahren, ein Blick aus dem Fenster lässt einen all dies schnell vergessen. Der landschaftliche Fassettenreichtum besticht immer wieder durch riesige, schneebedeckte Vulkane, Nebelwälder, kilometerlange schnurgrade Küstenstraßen oder unendlich tiefe Schluchten, in die sich Wasserfälle stürzen. Langweilig wird es jedenfalls nie.
Die Panamericana |
Typischer Reisebus |
Bananenplantagen säumen die Strassen an der Küste |
Die Strasse der Vulkane, hier, der Vulkan Cotopaxi |
Hinten links die Ansätze des Chimborazos |
Nebelwälder auf dem Weg zur Küste |
Und endlich angekommen, kilometerlange schnurgrade Strassen |
Bergpanorama |
Auf der Panamericana, zwischen Tixán und Alausí |
Woh!
AntwortenLöschenEl Matador der Landstrasse.