Freitag, 9. August 2013

Niemals geht man so ganz…

Ein Nachtrag:

Heute ist der 05.07.2013, der letzte Tag in meinem Projekt in Tixán und Llallanag. Ab morgen gibt es anderthalb Monate Ferien für die Kinder.

Es ist also vorbei, mein „entwicklungspolitischer Freiwilligendienst des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit“, oder mit anderen Worten gesagt, mein momentanes Leben.
Mein jetziges Leben und das der letzten 11 Monate war einzigartig, berührend, wundervoll, voller Schmerz und Freude. Ich durfte neue Freunde finden, hatte das Glück, unverfälscht in den Alltag einiger ecuadorianischen Familien einzutauchen, um mit ihnen das Glück und die Freude eines Austauschs von Wissen und Gebräuchen zu teilen.  Ich durfte eine mir bis zur Ankunft fremde Sprache lernen (spanisch), ohne dabei auch nur einmal in ein Buch geschaut zu haben und ich habe mich selber kennengelernt in einer Form, wie es im beheizten Wohnzimmer in Köln-Mülheim nicht möglich gewesen wäre.

Ich habe ein Land kennengelernt, das von Einzigartigkeit und gleichzeitig von so großer Vielfalt gesegnet ist. Einzigartig, weil ich morgens die Fensterläden in Riobamba aufklappe und vor mir ein Vulkan Lava und Asche spuckt, links davon, der größte Vulkan der Welt steht und mit seiner Größe und Gletschern alles andere wortwörtlich in den Schatten stellt und unter mir auf der Straße der Müllwagen entlangfährt, mit dieser einen Melodie, die sicher mein Leben lang nicht vergessen werde. Die große Vielfalt hingegen fand ich in den Menschen. Ich habe materiell Arme und Reiche kennengelernt, Städter und Menschen vom Land, aus dem Norden und aus dem Süden, aus Westen und Osten. Meine Erfahrungen, die ich dabei sammeln durfte, schätze ich sehr, denn mein Leben in Riobamba, Tixán und Llallanag ist nicht DAS Ecuador, sondern es ist viel breitgefächerter. Da lebt der eine mit seinem zwei Meter großen 3D-Flachbildfernseher in dem neugebauten Hochhaus mit Privatwächter und Wäscheservice, während anderswo zwölf Personen in einem Raum mit Loch im Wellblechdach leben. Der eine hört Reggaeton, der andere Meringe oder Salsa und wieder ein Anderer kann mit all dem überhaupt nichts anfangen und schwört auf „Modern Talking“ oder „Lady Gaga“. Einige haben schon die Welt bereist oder waren sogar schon einmal in Deutschland, andere haben von „Alemania“ oder Europa noch nie etwas gehört und fragen sich hinter dem Postschalter verzweifelt, in welchem Bundesstaat der USA die beiden Orte nur liegen könnten, „ja wo ist denn Europa jetzt in den USA?“. Gute Frage!

Es ist schön, immer wieder Komplimente zu bekommen, wie gut doch das Spanisch sei, dass ich spreche, immer wieder interessierte und offene Menschen zu treffen, die alles über mich, meine Arbeit, mein Herkunftsland und mein Leben erfragen, oder in meine Schule komme und schon weitem meine Kinder im Chor „Linito, Linito“ rufen höre. Es ist nicht schön, außerhalb des Dorfs immer als Fremder und „Gringo“ (Amerikaner) angesehen und behandelt zu werden, ständig mehr zahlen zu müssen, obwohl man die Strecke mit dem Bus oder Taxi nun schon 50 Mal gefahren ist und es ist auch nicht schön, in jeder Suppe Koriander zu haben. Und herzzerreißend ist es, wenn ich meiner Klasse sage, dass ich nun gehen werde und so schnell auch nicht mehr zurück komme, woraufhin sich die Horde auf mich stürzt, mich so feste umklammert wie es geht und ein dutzend Kinderstimmen um mich herum „No se va“ (geh nicht) brüllen, kreischen oder auch flüstern. So ist mein Ecuador: Schön, nervig, herzzerreißend und emotional.

Nun, wem habe ich das alles zu verdanken, wem gebührt eine Widmung für dieses Jahr?
Sehr viele Menschen haben mich dieses Jahr begleitet, ich selber war von der Vielzahl sehr überrascht. Eine berühmte Popsängerin aus der Karibik singt in ihrem Album, das mich das Jahr über begleitet hat: „Ich wusste ja gar nicht, dass mich so viele Menschen überhaupt kennen“. Das wusste ich auch nicht, doch nun bin ich eines Besseren belehrt worden. Ich danke zuerst einmal Euch, liebe Spender und Leser, Ihr habt den Rahmen all dessen geschaffen, was ich erleben durfte. Eure Unterstützung in finanzieller, aber auch in Form von Präsens, Interesse und Botschaften aus Deutschland haben mir oft sehr geholfen, um mich eben doch nicht immer, um jene Sängerin noch einmal zu zitieren, wie „verloren im Paradies“ zu fühlen.

Daneben gilt mein Dank den Menschen in Ecuador, allen voran meinen insgesamt ja drei Gastfamilien. Sie haben mich bedingungslos aufgenommen und in ihre Obhut gestellt, mich versorgt und bekümmert, bis ich mir dann irgendwann auch einmal selber einen Tee kochen durfte und nicht meine Gastmutter aufgesprungen ist, um ihn mir ans Bett zu bringen. „Vielleicht noch ein Brot dazu, Linito“? Irgendwann wurde ich dann Teil der Familie, spielte mit den Kindern und half bei Einkäufen oder beim Töpfeschleppen. Zudem danke ich auch meinen Mitfreiwilligen, seien es meine WG-Mitbewohner, mit denen ich besonders in der ersten Jahreshilfe eine unvergessliche Zeit hatte, oder auch den anderen Freiwilligen unserer Organisation in Otavalo, mit denen ich viel Zeit verbracht habe, sei es bei wundervollen Reisen oder bei vieren von ihnen auch in ihren Dörfern und Gastfamilien. Vor allem durch den Austausch mit ihnen konnte ich einiges lernen, über Einstellungen, Erfahrungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

In einer halben Stunde bricht mein letzter Schultag an, mit Abschiedsfeier und allem Drum und Dran. Wenn es klappt, mache ich Crêpes für die Kinder. Danach geht es für mich nach Perú, wo ich meine beste Freundin nach elf Monaten das erste Mal wiedersehen werde. Am 5. August geht von Quito aus mein Rückflug nach Deutschland. Bis bald also!

2 Kommentare:

  1. Lieber Lino, vielen Dank für deine wunderbaren Berichte, die mich ein Stück weit teilhaben lassen an deiner Reise. Alles Liebe Marida

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  2. Lieber Lino,
    Auch ich möchte dir danken für die Intensität und Vielfalt deiner Geschichten.
    Man spürt, daß das was man glaubt zu kennen aus den Medien, durch deine Reise, eine Welt der Gefühle öffnet, die man nur vor Ort erleben kann.
    Danke

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